Die testamentarische Bevorzugung des pflegenden Kindes
Gegen die Gültigkeit des Testaments wird häufig der Einwand der Testierunfähigkeit oder einer unlauteren Einflussnahme auf die Willensbildung des Erblassers erhoben. Als testierfähig wird allerdings bereits derjenige betrachtet, welcher wenigstens im Allgemeinen weiß, was er besitzt und wer die Nutznießer seiner Freigiebigkeit sind. Die Anforderungen an die Testierfähigkeit sind also nicht sonderlich hoch, und erfolgversprechende Angriffe gegen die Gültigkeit eines Testaments sind auf dieser Grundlage dann schwierig, wenn es keine medizinischen Beweise für eine Testierunfähigkeit gibt.
Immer häufiger wird außerdem beklagt, dass der Erblasser von Dritten unter Druck gesetzt worden sei, sein Testament zu schreiben, z.B. von einem Kind oder einem Angehörigen, der mit oder in der Nähe des Erblassers lebte. Wie kommt es zu diesen Vorwürfen? – Dem medizinischen Fortschritt ist es zu verdanken, dass die Bevölkerung ein hohe Lebenserwartung hat. Auch wenn wir gern glauben möchten, dass unsere Eltern in unserem Leben eine Stütze sind, kommt aber unwiderruflich einmal der Zeitpunkt, an welchem diese Rollen ausgetauscht werden und die jüngere Generation Verantwortung für ihre Eltern übernehmen muss. In vielen Familien übernimmt dabei ein erwachsenes Familienmitglied eine größere Bürde bei der Pflege seiner Eltern als seine übrigen Geschwister. Oft kommt es dann auch vor, dass dieses Kind, welches die Aufgabe in den letzten Lebensjahren, -monaten oder auch nur -tagen übernommen hat, von den Eltern testamentarisch zum Alleinerben eingesetzt wird.
Solche Entscheidungen werden in aller Regel freiwillig und nach bestem Gewissen getroffen, weil sich der Elternteil dem pflegenden Kind gegenüber verpflichtet fühlt. In diesen Fällen wird manchmal auch ein Einvernehmen mit den anderen Geschwistern gesucht bzw. dafür gesorgt, dass diese von dieser Entscheidung frühzeitig erfahren. Manchmal wird das Testament aber auch geheim gehalten, und das ist dann der Punkt, an dem später die Probleme entstehen. Sobald nämlich ein betagtes Elternteil an einem geistigen oder körperlichen Gebrechen leidet, die es zum Pflegefall für die Angehörigen machen, entsteht unzweifelhaft das Potential für eine unlautere Einflussnahme auf seine Willensbildung.
Man kann letztlich nicht verhindern, dass das Elternteil zum Notar geschleppt wird und ihn unter Einsatz von Drohungen gezwungen wird sein Testament zu ändern. Allerdings können einige vorbeugende Maßnahmen getroffen werden, um zu verhindern, dass ein derartiger Verdacht überhaupt nicht aufkommt und dass das Elternteil auch in seinem eigenen Interesse zum Opfer einer solchen Nötigung des pflegenden Kindes wird.
- Es sollte von vorne herein sicher gestellt werden, dass der Elternteil tatsächlich ein Testament errichtet, und der Inhalt dieses Testamentes sollte in der Familie auch offen diskutiert werden.
- Eine Videoaufzeichnung sollte angefertigt werden, in welchem sich das Elternteil über seine Absichten erklärt und welche dokumentiert, dass der Elternteil die Klauseln in seinem Testament auch verstanden hat.
- Die Kommunikationskanäle zwischen allen Geschwistern und dem Elternteil sollten in jedem Fall offen bleiben.
Leider ist eine Nötigung des Elternteils nach dessen Tod nur schwer zu beweisen. Im Nachhinein kann der Beweis hierfür nur über Indizien geführt werden. Als Indizien, welche von einem Gericht im Einzelfall als wesentlich angesehen werden könnten, kommen in Betracht:
- der Gesundheitszustand der Person zur Zeit, als sie das Testament unterzeichnete;
- die Beobachtungen und sachbezogenen Kommentare des Notars oder Anwalts, der das Testament aufgesetzt hat;
- eine etwaige Kontaktaufnahme mit dem Notar/ Anwalt durch das Kind;
- ein abrupter Wechsel in der Vermögens- und Nachfolgeplanung;
- die persönliche Anwesenheit des Kindes im Beurkundungstermin bzw. bei der Abfassung des Testaments;
- die Inbesitznahme des Testaments durch das Kind;
- Geheimhaltung vor der anderen Geschwistern.