Lehman Brothers Zertifikate –
Weinen oder Klagen?

Schlägt man bei google nach, erhält man den Eindruck, dass in Deutschland die Bereitschaft um sein Recht zu kämpfen sehr ausgeprägt sei. Jedenfalls überschlagen sich Medien, Anwaltskanzleien, Verbraucherzentralen und sonstige Schutzvereine förmlich, um die Aufmerksamkeit des geneigten Publikums zu erhaschen. Es wird berichtet von zu erwartenden „Klagewellen“ und von den guten Chancen in einem Rechtsstreit zu obsiegen.

Wenn man allerdings danach forscht, wie viele Klagen tatsächlich anhängig gemacht worden sind, wird die Informationslage dürftig. Über die Gründe hierfür kann man nur spekulieren. Möglicherweise haben sich insbesondere die großen Anwaltskanzleien bislang erfolglos um außergerichtliche Regelungen bemüht. Möglicherweise bringen nur wenige der meistens älteren Anleger den Mut auf, ohne den Rückhalt durch ihre Rechtsschutzversicherung ihre Interessen auf dem Rechtsweg durchzusetzen. In der Tat scheint zumindest ein Teil der geschädigten Anleger darauf zu warten, dass andere den ersten Schritt tun, um vielleicht später auf den Zug aufzuspringen. Es kann auch sein, dass die Mentalität, gutes Geld keinem schlechten Geld hinterherwerfen zu wollen, weiter verbreitet ist als man weithin annimmt.

Stattdessen organisiert man sich in Geschädigtenvereinen, die überall in Deutschland wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Dort versammeln sich Bürger, welche glauben, durch politischen Druck mehr erreichen können als auf dem Rechtsweg. In wöchentlichen Treffen erzählen sie sich untereinander, was es für Neuigkeiten im Internet zu den Lehman-Fällen zu lesen gibt. Man kreist um sich selbst und versichert sich gegenseitig, doch nicht so gierig gewesen zu sein, wie man von den Banken angeblich dargestellt wird. Hier wird deutlich, dass die Sorge um die soziale Stigmatisierung als „die gierigen Alten“ neben dem monetären Aspekt möglicherweise zu sehr unterschätzt wird.

In diesen Zirkeln tauchen auch schillernde Persönlichkeiten auf, welche ebenfalls ihr gesamtes Vermögen mit Lehman Zertifikaten verloren haben – jedenfalls behaupten sie das. Sie reisen von Stadt zu Stadt und verkünden das Anbrechen der Anlegerrevolution. Sie vertreten lautstark die Ansicht, gerade die Lehman-Zertifikate seien so konstruiert gewesen seien, dass sie notwendigerweise hätten scheitern müssen. Sie geben sich kämpferisch und schüren die Hoffnung, dass jeder Anleger über eine Art Produkthaftung sein Geld wieder bekommen kann. Der Pferdefuss besteht allerdings darin, dass die Gefährlichkeit dieser Finanzprodukte erst einmal durch finanzmathematische Gutachten bewiesen werden muss. Sie werben deshalb dafür, das Gesetz der großen Zahl wirksam werden zu lassen und sich ihm möglichst zahlreich anzuschließen. Die passenden Anwälte hätte man auch an der Hand. Was diese Anreißer versprechen, kann sich am Ende als richtig oder falsch herausstellen. Ich bin jedenfalls derartigen Heilsversprechen gegenüber so lange skeptisch, bis ich verlässliche Information über ein fehlendes Provisionsinteresse dieser Personen habe.

In den Versammlungen bieten auch Rechtsanwälte Ihre Dienste öffentlich an bzw. sie schildern den Ablauf eines Schadenersatzprozesses. Klar ist: Die Garantie einen Prozess zu gewinnen, kann kein redlicher Anwalt geben. Für viele Anleger ist aber andererseits die Auskunft, dass es immer auf den Einzelfall ankomme, ebenso ehrlich wie unbefriedigend.

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Aus der Abhängigkeit vom Einzelfall kann man jedoch einige generelle Aussagen ableiten:

1. Es kommt nicht darauf an, wie in anderen Fällen über Schadenersatzansprüche entschieden worden ist oder künftig entschieden werden wird. Die Hoffnung, sich hinter einem Präzedenzfall des Bundesgerichtshofs verstecken zu können und seinen Schadenersatz später ohne Prozess liquidieren zu können, ist unbegründet. Die hiesigen Fälle unterscheiden sich in diesem Punkt wesentlich von anderen Rechtsgebieten, wie z.B. mietrechtlichen Streitigkeiten, bei denen eine Formularklausel für unwirksam erklärt worden ist und auf die sich in der Folge alle Welt berufen kann.

2. Vom rechtlichen Standpunkt her spielt es keine Rolle, dass Lehman Brothers pleite gegangen ist. Die Insolvenz war „nur“ das schadensauslösende Moment, nicht jedoch das schadensbegründende Ereignis. Anzusetzen ist deshalb immer bei der Situation, in welcher das Zertifikat erworben wurde. Zu diesem Zeitpunkt war Lehman nicht insolvent, und man kann selbst dem abgefeimtesten Berater nicht unterstellen, dass er dies geahnt hat. Diese Erkenntnis bedeutet aber auch, dass man auch in anderen Beratungsfällen Schadenersatzansprüche geltend machen kann, die nicht mit einer Insolvenz geendet haben.

3. Man wird vor den Gerichten kein Gehör mit dem Standardargument finden, dass man etwas gekauft hätte, was einem aufgedrängt worden sei. Das Problem besteht darin, dass man sich nach dem Eintritt des Schadens immer als risikobewusster sehen wird als vorher und dass man die Verantwortung für seine Entscheidung von sich wegzuschieben versucht – ein natürlicher Umstand, den man sich selber nicht gerne eingesteht. Als Ausweg bleibt jedem einzelnen nichts anderes übrig, als dezidiert darzulegen, dass man über die Risiken der Kapitalanlage nicht oder nicht ausreichend aufgeklärt worden sei und dass diese Investition nicht dem eigenen Anlageprofil in der Vergangenheit entsprochen hat.

4. Eine weitere Auswirkung der Einzelfallgerechtigkeit betrifft die Kostenseite. In geeigneten Einzelfällen kann man sich mit dem Rechtsanwalt über die Vereinbarung eines Erfolgshonorars unterhalten. Diese Möglichkeit besteht dann, wenn einerseits keine Möglichkeit zur Erlangung von Prozesskostenhilfe besteht, aber der Rechtssuchende andererseits ohne das Erfolgshonorar durch das Kostenrisiko von der Verfolgung seiner Interessen abgehalten würde. Anzumerken ist hierbei jedoch, dass sich das Risiko, welches der Anwalt übernimmt, auf sein eigenes Honorar beschränkt. Das Kostenrisiko, im Verlustfall die gegnerischen Kosten und die Gerichtskosten übernehmen zu müssen, bleibt bestehen.

Sicherlich muss man als Anwalt nicht zu den großen deutschen Anlegerschutzkanzleien zählen, um seine Mandanten effektiv vor den Gerichten vertreten zu können. Die rechtlichen Grundsätze der Haftung für fehlerhafte Anlageberatung sind so einfach wie einleuchtend. Auch besteht die Möglichkeit durch eine Abtretung dieser Ansprüche auf einen Dritten, wie z.B. auf ein Familienmitglied, sich selber als Zeuge im Anlageprozess zur Verfügung zu stellen.